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Profit über alles

von Wolfgang Müller

Wie viele andere auch bin ich mittlerweile unfassbar erschöpft und ausgelaugt von der Pandemie. Ich bin erschöpft und ausgelaugt vom Homeschooling seit 5 (!) Monaten ohne Perspektive auf Öffnung, erschöpft und ausgelaugt von immer neuen Verordnungen und Regeln, die jetzt in eine quasi unbegrenzte Ausgangssperre münden. Erschöpft von Diskussionen mit den ganzen Irren, die die Pandemie für eine Verschwörung halten, von habgierigen Politikern, die Profit aus dem Elend der Gesellschaft schlagen, von idiotischen und wissenschaftsfeindlichen Entscheidungen, die sämtliche Lasten und Kosten der Seuchenbekämpfung auf den Schultern der Bevölkerungsgruppen abladen die sich nicht wehren können: Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, Kindern, Eltern, Solo-Selbständigen. Pflegepersonal. Man steht da, schaut fassungslos auf das Politikgeschehen, und sieht zu wie alle Entscheidungen anscheinend einer ganz eigenen Logik folgen, die sämtliche gesellschaftlichen und gesundheitlichen Folgen ignoriert und ganz stumpf einer eigenen Agenda abfeiert, anscheinend gänzlich unberührt von jedem gesellschaftlichen Aufschrei. Und man denkt: Wie kann das sein? Was passiert hier? Und man traut sich schon fast nicht mehr, irgend etwas in Frage zu stellen, weil man dann sofort von irgendwelchen Querdenkern auf die Schulter geklopft bekommt, die einem zahlreiche Youtube-Links zur großen Weltverschwörung empfehlen. An der Stelle schonmal vorab: Danke, aber nein danke. Die werde ich mir nicht angucken. Denn dass es die Pandemie gibt, dass sie gefährlich ist, und dass dagegen etwas unternommen werden muss, steht für mich außer Frage.

Trotzdem ist es offensichtlich, dass die Entscheidungen, die in dieser Pandemie getroffen werden, weder wissenschaftlich noch fair sind. Und anders als die großen Weltverschwörer, die irgendwelche megabösen Absichten und Menschheitsversklavungsfantasien propagieren, fürchte ich mittlerweile, ist die Lösung des Rätsels so trivial, dass man einfach weinen möchte: Es lautet – Profit über alles. Und man hätte das ja nicht für möglich gehalten. Man dachte immer, klar, alle arbeiten gewinnorientiert, und das ist ja auch ok, aber wenn es hart auf hart kommt, also wenn es WIRKLICH so richtig hart auf hart kommt, und zum Beispiel das Land auf Gefahr läuft, eine ganze Generation an Kindern und Jugendlichen zu verlieren, und wir reden hier von über 10 Millionen Menschen, also spätestens dann wird ja doch ein wenig Geld in die Hand genommen werden, um Schulen zu einem sicheren Ort zu machen, zum Beispiel durch die flächendeckende Installation von Luftfiltern in Klassenräumen, oder eine ausgeklügelte Teststrategie. Wenigsten nach einem Jahr Pandemie, mit der Aussicht auf noch ein weiteres Jahr, wenn das mit dem Impfen so weitergeht und Mutante XYZ um die Ecke kommt und vielleicht alsbald alles auf Null setzt. Spätestens jetzt, dachte man, würde doch die Regierung dafür Sorge tragen, dass es wenigstens für die Kinder irgendwie weitergeht.

Alleine – es passiert nichts. Gar nichts. Bis heute gibt es keine Pläne, Klassenräume mit Luftfiltern auszustatten. Es gibt keine Pläne, was wir machen, wenn die Inzidenzen hoch bleiben. Kein Plan. Nirgends. Stattdessen wird alles, was NICHT Wirtschaft mit Festangestellten beinhaltet, ausgequetscht wie eine Zitrone. Lieber werden die Menschen wochenlang abends zu Hause eingesperrt, als einmal für 2 Wochen landesweit alle Betriebe zu schließen. Eltern sind nicht systemrelevant und haben keine Impfpriorisierung. Ist das nicht lustig? Die Leute, die den Nachwuchs der Gesellschaft aufziehen sind nicht systemrelevant. Das muss man erst mal sacken lassen. Sogar gegen eine betriebliche Testpflicht, was so ziemlich das niederschwelligste Einschreiten ist was es gibt, wurde sich bis zum Schluss mit Händen und Füßen gewehrt. Während also manche Kinder seit Monaten niemanden sehen, die gesamte bundesdeutsche Elternschaft verbrennt zwischen Homeschooling und Arbeit, während reihenweise Solo-Selbständige pleite gehen, weil sie die mageren Corona Hilfen auch noch zurückzahlen müssen, weil sie doch zwischendurch einmal 100 Euro verdient haben, wird ohne mit der Wimper zu zucken Milliarden und Abermilliarden in die Wirtschaft gepumpt. Was ok wäre, wenn gleichzeitig auch Abermilliarden in die Schulen und Unis gempumpt werden würden. Passiert aber nicht.

Die traurige Wahrheit ist, und das lässt für die Klimakrise nichts Gutes erahnen – lieber lässt man eine ganze Generation vor die Hunde gehen, also für ein paar Euro Luftfilter und Schnelltests zu besorgen. Lieber sperrt man ein ganzes Land wochenlang ein, als einmal für 2 Wochen die Wirtschaft lahmzulegen und diese damit auch einmal zur Kasse bitten. Und das gilt nach wie vor. Lieber lassen wir massenhaft Leute aus Personalmangel sterben, als auch nur 100,- Euro mehr pro Monat für einen Pfleger auszugeben. Lieber werden Millionen Büroangestellten einem tödlichen Risiko ausgesetzt, als Maskenpflicht fürs Büro zu beschließen oder am besten den ganzen Laden einfach mal 2 Wochen dicht zu machen. Und welchen Stellenwert Kinder und Familien in diesem Land haben, entgegen aller Beteuerungen, steht auch im grellen Licht sichtbar für alle da: Überhaupt keinen. Aber die ganze Fassungslosigkeit, die ganze Verzweiflung darüber, dass man anscheinend nicht gehört wird, kann man sich sparen, denn die Wahrheit ist: Man wird gehört. Es spielt bloß überhaupt keine Rolle.

Das Motto in diesem Land lautet: Profit über alles. Das erklärt so ziemlich alles, was gerade passiert. Und die Frage muss wirklich lauten, wie lange wir uns das noch gefallen lassen wollen. So ganz ohne Querdenken.

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3 Kommentare

Stefan Wittmann 14. April 2021 - 16:19

Danke Wolfgang Müller. Wir verstehen auch nicht mehr das blinde Zusehen und sprachlose Schweigen. Auch wir sind müde. Deshalb Danke für diesen wachen Text.
Alles Gute.
Stefan

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Ulrike Wilkens-Eppinger 15. April 2021 - 11:14

Danke für diesen Text, der so klar und eindeutig formuliert, was keiner auszusprechen wagt. Es geht um den schnöden Mammon, um sonst gar nichts.

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Hena Rainer 15. April 2021 - 12:01

Sehr gut, ganz treffend auf den Punkt gebracht.

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