Startseite Kritik Buchkritik: “Du darfst nicht alles glauben, was du denkst – Meine Depression” von Kurt Krömer.

Buchkritik: “Du darfst nicht alles glauben, was du denkst – Meine Depression” von Kurt Krömer.

von Wolfgang Müller

Ich habe lange überlegt, ob ich etwas über das Buch “Du darfst nicht alles glauben, was du denkst – Meine Depression” von Kurt Krömer schreiben soll – schließlich ist es einfach nur ein persönlicher Erfahrungsbericht, wie in der Einleitung betont wird, kein Ratgeber. Aber weil es rauf und runter besprochen (und gelobt) wird, ich einiges an dem Buch sehr problematisch finde, will ich etwas dazu sagen. Ich habe selber seit vielen Jahren eine generalisierte Angststörung und Panikattacken, ich darf also glaube ich behaupten, dass ich ein bisschen weiß, wovon ich rede. Und wovon Alexander Bojcan, so heißt Kurt Krömer im echten Leben, erzählt.

Sehr viele der geistigen und seelischen Zustände, die er beschreibt, sind mir (und vielen anderen glaube ich auch) sehr vertraut. Der Leidensdruck ist, wie er es auch beschreibt, streckenweise enorm. Trotzdem habe ich große Mühe damit, diesen Zustand als Depression zu bezeichnen, oder wenn wie hier erzählt wird, dass man dreißig Jahre eine Depression hatte “ohne es zu merken”, und diese dann in 8 Wochen “geheilt” hat. Es gibt meiner Meinung nach einen großen Unterschied zwischen depressiven Verstimmungen auf Grund von nicht aufgearbeiteten Kindheitserlebnissen und einer massiven Überforderung durch Lebensumstände, und einer klinischen Depression. Letztere wird man auf jeden Fall nicht innerhalb von 8 Wochen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik und ein paar gute Einzel- und Gruppensitzungen wieder los. Diese Art von Erzählung ist Teil eines Trends der letzten Jahre, die ich als Trivialisierung klinischer Diagnosen bezeichnen will: ADHS, Asperger, Depressionen – Einerseits finde ich es großartig, dass seelische Krankheiten und Dispositionen sichtbar werden. Gleichzeitig sehe ich enorme Unterschiede in der Symptomatik unterschiedlicher Leute, die sich, teilweise in Selbstdiagnose, diese oder jene Störung zuschreiben. Ich will Alexander Bojcan weder seine Empfindung noch seinen Leidensdruck absprechen – aber die Menschen, die ich kenne, die schwere Depressionen haben, sind teilweise kaum lebensfähig, bzw. medikamentös so hart eingestellt, dass das gesamte System dauerhaft runter gedimmt ist. Ich finde, dass es da in der Diagnostik ein und desselben Begriffes (hier: Depression) einen enormen Unterschied gibt, und der wird in dem Buch meiner Meinung nach überhaupt nicht deutlich. Die Erzählung lautet, grob gesagt, wenn man nicht klar kommt, muss man nur mal 8 Wochen in eine Klinik, und dann läuft es schon wieder. Und falls die sogenannte Depression wiederkommt, weiß man ja wo die Klinik ist und haut sich zack ein paar Antidepressiva rein. Das ist nicht das, was ich bei Leuten mit einer klinischen Depression erlebe. Die kämpfen ihr Leben lang und dauerhaft, das ist eine völlig andere Nummer. Und diese Leute werden durch solche Erzählungen unsichtbar – ähnlich wie wenn normschöne Frauen von Körperscham reden, und die wirklich dicken und nicht ganz so hübschen Frauen dadurch verstummen. Es ist das seelische Pendant der kulturellen Aneignung.

Das zweite, was mich massiv stört, ist die beiläufigen und impliziten Erzählungen von Wohlstand. Geld scheint bei Alexander Bojacan keine Rolle zu spielen (was toll ist, Glückwunsch dazu). Da werden Kinderfrauen einfach mal Vollzeit eingestellt, wenn man in die Klinik geht und sich nicht mehr kümmern kann. Wenn man sich schlecht fühlt, weil man einen großen Garten ohne Blumen hat, aber sich nicht geeignet für Gartenarbeit fühlt, dann wird halt einfach ein Gärtner engagiert “und fertig ist die Laube”. Damit man sich auf die Ausrichtung des Gartenfests konzentrieren kann. Nach der Klinik gönnt man sich erstmal einen ausgedehnten Kreta Urlaub (auch mit Kinderfrau). Auch reichen ein paar Anrufe bei guten (einflussreichen) Freunden, und zack ist der Therapieplatz und Klinikaufenthalt geregelt. Und später im Buch erzählt Alexander Bojcan, früher sei er in der KSK (Künstlersozialkasse) gewesen, das hätte ihm als “alten Punk” gut gefallen mit Gerechtigkeit und so, aber dass er sich dann doch lieber privat versichert hat, weil er seinen Kindern und sich die bestmögliche Absicherung bieten will.

All das ist natürlich legitim und eine schöne Sache – aber in einem Buch über Depressionen meiner Meinung nach völlig deplatziert. Denn für die allermeisten, die dieses Buch lesen werden und psychische Probleme haben, ist so ein Luxus undenkbar, und erzeugt eine implizite Ausgrenzung. Dass man sich das erst mal leisten können muss, sich privat zu versichern, und es keine Frage ist, ob man die bestmögliche Absicherung will oder nicht (wer will das nicht?) wird hier nicht thematisiert und damit implizit zu einer Wahlmöglichkeit umgedeutet, die die meisten Menschen einfach nicht haben. Es wird auch nicht ganz klar, warum er das erzählt. Aus schlechtem Gewissen? Denn natürlich wird hier deutlich: Mit dem Gerechtigkeitsfimmel, den er sich selber zuschreibt, ist es nicht soweit her, wenn er sich aus der solidarischen Krankenversicherung verabschiedet, um die bestmögliche Absicherung zu bekommen. Da kann man das noch so oft, fast schon trotzig, benennen, das man halt “nur das Beste will” – das wollen ja alle. Er darf das natürlich machen, aber er kann sich nicht gleichzeitig als Kämpfer der Gerechtigkeit darstellen, der leider leider von den Umständen gezwungen wird, das Solidaritätsprinzip zu verlassen. Man kann nicht beides haben. Entweder man ist solidarisch oder nicht.

Es ist schön für ihn, dass er so viel Geld hat, und so viele Möglichkeiten, sich seinen psychischen Problemen zu widmen, aber die Selbstverständlichkeit, mit der das vorgetragen wird, muss einer alleinerziehenden Mutter im Burnout auf Harz IV wie der blanke Hohn vorkommen. Denn das führt zum entscheidenen Kritikpunkt an diesem Buch, weil dieser Komplex nur am Rande angerissen wird, obwohl er meiner Meinung nach an erste Stelle gehört: So eine Depression muss man sich leisten können. Für viele Menschen, insbesondere Solo-Selbständige oder alleinerziehende Eltern, ist es völlig undenkbar, sich 8 Wochen zu verabschieden, um sich seiner Psyche zu widmen, egal, wie schlecht es einem geht. Finanziell oder betreuungstechnisch ist das schlicht und ergreifend unmöglich. Wenn man, wie erwähnt, überhaupt einen Therapieplatz oder einen Klinikplatz bekäme. Hinzu kommt – je weniger Geld Menschen haben, desto größer ist die Gefahr, psychisch zu erkranken. Psychische Probleme sind häufig ein Armuts-Problem, weil der Druck und und die Ausweglosigkeit zu wahrhaft unlösbaren Problemen auftürmen – nicht nur gefühlt unlösbar. Durch den über große Strecken für meinen Geschmack sehr selbstbezogenen Erzählstil verpasst es Alexander Bojcan, seine Geschichte in einen größeren Zusammenhang zu setzen, und ihr damit eine allgemeine Relevanz zu geben. Das wurde zwar mehr oder weniger so angekündigt, allerdings macht es das nicht wirklich besser. Natürlich muss ein Erfahrungsbericht über die eigenen seelischen Zustände subjektiv sein, aber rutscht es hier allzuoft in eine reine Befindlichkeits-Studie ab, und das in einer teilweise extrem unempathischen und groben Sprache. Ein absoluter Tiefpunkt bildet hier das Statement bezüglich der Angst, jemand zu werden, der sich schwierigen Situationen nicht mehr stellen kann. Zitat: “Wenn ich zu so einem Typen mutiert wäre, hätte ich mir mit voller Überzeugung mit einer Schrotflinte ins Gesicht geschossen”. So ein Satz in einem Buch über Depressionen ist maximal verantwortungslos und kaltherzig, und man wundert sich, dass der Lektor dem Autor hier nicht entsetzt in den Arm gefallen ist.

Man bleibt also etwas ratlos zurück, was Alexander Bojcan sagen will – und vor allem, was er mit dem Buch bezweckt. Das Buch hätte ein Leuchtturm für verirrte Seelen werden können, ein Plädoyer für eine bessere Versorgung und Sichtbarkeit psychisch kranker Menschen, aber es bleibt in seiner Selbstbezogenheit leider nur eine seelische Nabelschau, oberflächlich und ohne einen nennenswerten Blick aufs Ganze, und das von einer äußerst privilegierten Position aus. Mit etwas Abstand zum Erlebten hätte er vielleicht ein besseres (und fundierteres) Buch geschrieben. So kann man nach dem Lesen dem Autor am Ende nur gute Besserung wünschen, aber nichts für sich mitnehmen. Und das ist ein bisschen schade.

You may also like

5 Kommentare

Katrin Weidel 27. September 2022 - 18:02

Ich stimme Ihrer Beschreibung und Kritik zu Herrn Krömers (Kunstfigur) Buch aus vollem Herzen zu. Vieles was er sagt oder schreibt- oder schreiben läßt- nennt man einfach mal: das Leben. Dazu kommt noch die unerträglich geschmacklose Benennung der Diagnose Depression mit “Hexe”, die von ihm (oder seinem Schreiber) aufgezählten Adjektive erspare ich mir. Panik, Angst, Depressionen – es ist gut, diese Erkrankung anzusprechen und eine Möglichkeit zu finden, damit zu leben. Aus Erfahrung empfehle ich ärztliche Unterstützung, die ich auch als Kassenpatientin bekommen habe.

Antworten
Erica Städler 16. Januar 2023 - 11:29

Ihre Kritik hat das Thema sehr genau getroffen. Als Mutter eines seit über 15 Jahren schwer depressiven Kindes – jetzt 28, trotzdem Superstudium-Abschluß und Master: die DEPRESSION scheint ein “lebenslanges Martyrium” zu sein, voller Panik- und Angstzustände…..und immer, wenn der Betroffene/die Betroffene wieder winzige Fortschritte machen, weil wieder eine neue Therapieform ausprobiert wurde, kommt der nächste “Tiefschlag”, der auch die Angehörigen wieder völlig niedergeschmettert und ratlos und voller Schuldgefühle zurückläßt, obwohl man/frau doch alles tun würde, um sein Kind endlich mal “glücklich” zu sehen…..

Antworten
Aßhoff, Jörg 3. November 2022 - 13:22

Super auf den Punkt gebracht! Alexander Bojcan hat wahrscheinlich sein Bestes (als Autor) gegeben…

Antworten
Asiki, Michaela 2. Mai 2023 - 14:34

Ich stimme dem zu. Das Buch habe ich auch letztens zu ende gelesen, einiges war witzig, aber mir kam auch der Gedanke auf, dass Geld eine große Rolle spielt. Ist alles schön und gut, aber wer kann sich eine private Krankversicherung erlauben? Und ich habe mich sehr gewundert, dass er nach 8 Wochen Tagesklinik-Aufenthalt “geheilt” ist. So schnell geht es meines Erachtens nicht. Und das Thema Flüchtlinge fand ich auch unpassend, jeder hat eine eigene Meinung, ist auch okay. Aber wenn Krömer dafür ist, soll er sich doch darum kümmern.
Gut, dass ich für das Buch kein Geld ausgegeben habe (Bücherei).

Antworten
Daniel 18. Mai 2023 - 22:26

Achtung: Er hat das in seinem Buch selbst relativiert und betont, dass man in 8 Wochen keine Depression heilen kann. Und schreibt selbst, er bräuchte dafür mehrere Jahre, was ja dann auch so war bzw. weiterhin so ist. Wie Sie selbst meinen: Es ist ein Erfahrungsbericht, und zwar ein individueller. Wenn er mehr Geld hat als andere, ist das dann eben so etc. Eine Depression zu behandeln, ist aber weniger eine Frage des Geldes. Die Frage, die sich jeder Depressive stellen sollte, ist ganz simpel: Wie würde wohl das eigene Buch darüber aussehen? Ganz ohne den Schnickschnack des wissenschaftlichen Hintergrundes, dazu gibt es genug. Sondern eben so, wie es Alexander Bojan gemacht hat. Jede Depression kann im Detail unterschiedlich sein, so sind es auch die Erfahrungsberichte. Dass wir uns auslassen darüber, was in ein Buch über Depression gehört oder nicht, ist okay. Aber am Ende ist es nicht irgendein Buch über Depression, sondern SEIN Buch.

Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Daniel Abbrechen