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10 Jahre Fressmann

von Wolfgang Müller

Liebe alle,

Heute vor 10 Jahren, am 24.09.2012, ging ich zum Bezirksamt Hamburg-Altona und meldete ein Gewerbe namens “Fressmann Schallplattenfirma” an. Ich wollte nicht mehr abhängig sein von der Gnade irgendwelcher Label-Chefs, und auch nicht mehr mit meiner Musik Klinken putzen und immer wieder “Ja schon ganz geil, aber es sind halt nicht die HUNDERTZWANZIG Prozent” Sprüche anhören müssen. Und siehe da, so schwer war es gar nicht:

Fairerweise muss ich erwähnen, dass ich nie zuvor und nie wieder danach so viel gearbeitet habe wie in dieser Zeit. Ich musste ja neben dem Label auch noch Geld verdienen, hatte Familie mit 2 kleinen Kindern, meine eigene Musik, produziert gerade “Über die Unruhe” und hatte mit “Es war einmal und wenn sie nicht” auch gleich ein zweites riesiges Projekt obendrauf. Das war schon grenzwertig teilweise. Und trotzdem: Das Gefühl, sein eigenes kleines Label-Logo auf der eigenen Platte zu sehen, war einfach unschlagbar. Und ist es noch.

An der Stelle wollte ich eigentlich ausführlich jede Veröffentlichung vorstellen, aber dann ist mir aufgefallen, dass das sterbenslangweilig wäre. Daher lieber ein paar Fun-Facts:

  • Der Labelname entstand aus der Antwort meines damals 4-jährigen Sohnes auf die Frage, wie denn sein neues Stoffkrokodil heißen soll. Er fletschte die Zähne und grollte “Krokodil FRESSMANN”. Musste ich sofort klauen.
  • Um einen Labelcode zu bekommen, mussten für die Erstveröffentlichung auf dem Label mindestens 3000 (!!) Tonträger produziert werden, darunter hätten sie es nicht gemacht (ist das heute auch noch so??). Die wollten sogar die Rechnung sehen.
  • Meine geliebte alte Wilhelmsburger Reichsstraße, über die ich viele Jahre zu meinem Vertrieb Indigo nach Harburg gefahren bin, um CD-Päckchen abzuholen, wurde unlängst um 100 Meter nach links verlegt, mit Schallschutzwänden und -hügeln versehen und ist jetzt ein gesichtsloser Verkehrsschlauch. Wahrscheinlich gut für die Anwohner, aber bricht mir das Herz.
  • Von wegen gebrochenes Herz: An dem Morgen im Oktober 2012, als ich auf dem Weg zu Indigo war, um meinen Vertriebsvertrag zu unterschreiben, kam die Nachricht, dass Nils Koppruch gestorben war. Als ich schließlich in Harburg ankam, war ausnahmlos jeder am Weinen. Das war der traurigste Vertragsabschluss meines Lebens.
  • Naëma Faika, die Sängerin der Band “Nullmillimeter”, die 2022 auf Fressmann erschienen ist, hat zufälligerweise und ohne dass wir uns damals schon kannten, auch die Kapitelüberschriften zu den “Krokodilslangen Geschichten” von Tom Liwa aus 2014 gelesen.
  • Gina Ruck-Pauquèt, die Autorin der “Krokodilslangen Geschichten”, hat sich so über den Pressetext aufgeregt, den Tom Liwa geschrieben hatte, dass sie beinahe die Veröffentlichung untersagt hätte. Tom schrieb was von “einer alten Frau, die nun zurückgezogen in Italien lebt”, und ich darf berichten, am Telefon war sie höchst lebendig und auf 180, dass sie “jemand hier in den Sarg schreiben will, hören sie mal, ich hab einen vollen Terminkalender!!!”
  • 2016 war ich mehr oder weniger pleite und maximal überarbeitet, danach war erst mal keine Power und kein Geld für andere Projekte als meine eigenen Platten da, weswegen es erst dieses Jahr mit Nullmillimeter wieder eine Fremdveröffentlichung gegeben hat. Was mich umso mehr freut 🙂
  • Seit der ersten Veröffentlichung machen die wunderbaren Arndt und Tina von Themroc (www.themroc.com) unsere Promo, und ich kann diese Menschen nur jedem ans Herz legen, der jemanden sucht, der mit aller Hingabe und zu fairen Preisen seine Musik (oder Bücher oder Filme) promotet.
  • Ebenfalls von Anfang an ist Indigo unser Vertrieb, und auch hier kann ich nur das Beste und Netteste verlauten lassen, ich darf verraten, dass Fressmann nicht die CASHCOW von Indigo ist, und trotzdem wurden wir wieder freundlich zurück genommen, als ich mal in einem Anfall von ICH KANN DAS ALLES NICHT MEHR den Vertrag gekündigt hatte und ein paar Monate später etwas kleinlaut wieder anklopfte.
  • Alles, was Taschen, Mützen und Spieluhr ist, wird vom zauberhaften Hamburger Label Herr Fuchs (www.herrfuchs.net) in Handarbeit produziert, da gibt es noch allerlei mehr, schaut mal vorbei, es ist immer eine Reise wert!
  • Das Label-Debut “Über die Unruhe” war eins der ersten Alben in Deutschland, das via Crowdfunding finanziert wurden. Bis heute ist Crowdfunding das finanzielle Rückgrat jeder meiner Veröffentlichungen, und es macht mich sehr dankbar und glücklich, dass es euch gibt 🙂
  • Streaming ist und bleibt der Todesstoß für kleine Labels (und Künstler)
  • Ich mach trotzdem weiter
  • Und ach ja: “Unter meinem Bett” (bei Oetinger Media erschienen, aber von Fressmann kuratiert) hat übrigens gerade eine Goldene Schallplatte bekommen, und ich wäre ein elender Lügner würde ich nicht zugeben, dass mich das total stolz macht.

Am Ende jetzt doch noch mal eine kleine Liste 10 Jahren Fressmann v.l.n.r.v.o.n.u:

2012: Über die Unruhe
2013: Es war einmal und wenn sie nicht (Singer-Songwriter lesen Grimm)
2014: Krokodilslange Geschichten (Tom Liwa, Gina Ruck-Pauquèt)
2015: Auf die Welt
2015: Unter meinem Bett (Oetinger Media, kuratiert)
2018: Die sicherste Art zu reisen
2019: 10 Jahre Ahoi – Jubiläumsaufnahme
2021: Die Nacht ist vorbei
2022: Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd (Nullmillimeter)

Das war’s erst mal bis hierhin. Vielen Dank für eure Unterstützung und Begeisterung die ganzen Jahre, das war wirklich großartig und macht Lust auf mehr 🙂

Schönen Gruß

Wolfgang

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1 Kommentieren

roswitha 29. Oktober 2022 - 19:53

wir kaufen immer noch cds und werden ausgelacht, ist uns egal. aber ich brenne auch niemanden mehr eine cd, nicht mal von bekannten gruppen, ich unterstütze nicht die kostenlos- mentalität. geht ja mit filmen und büchern so weiter, irgendwann ist alles eindimensional. keine experimente, keine neuen stimmen…
mir tut diese entwicklung leid, auch ein stück verarmung der kultur. viel glück für dich, gruß roswitha

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