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Antworten auf die Kritik zu meinem Streaming-Vorschlag

von Wolfgang Müller

Moin.

Vor ein paar Tagen habe ich einen Artikel veröffentlicht, in dem ich versucht habe darzulegen, dass die Umstellung von CD Verkäufen auf Streaming vielen, vor allem unbekannte Künstlern, es unmöglich macht kostendeckend zu arbeiten (von Gewinnen mal ganz abgesehen). Wie zu erwarten gab es neben viel Zustimmung auch viel Kritik, und auf die häufigsten Kritikpunkte will ich hier einmal eingehen.

Konter 1: Es gibt gar kein Problem

Einer der gängisten Einwände gegen das “Gejammer” der Künstler ist, dass sie sich auf gut deutsch nicht so anstellen sollen. Der Tenor lautet, dass es schon immer Änderungen im Geschäftsmodell der Musiker gab, dass früher auch nicht alles rosig und besser war, und die Einnahmen durch Streaming wären immer noch alles andere als kläglich.

Antwort:

Um “kläglich” zu definieren, muss man zunächst mal aufzeigen, von welcher Dimension an Einnahmeverlusten wir sprechen, und zwar anhand einer fiktiven Nachwuchsband, die sagen wir mal 1000 Zuhörer im Monat hat. Nehmen wir weiter an, jeder dieser 1000 Hörer (NICHT Streams, sondern Hörer) hätten früher auch eine CD gekauft. Wir stellen also 1000 Streaming-Hörer  (nochmal, Hörer, nicht Streams) gegen 1000 CD Käufer.

Gehen wir weiter davon aus, dass man eine neue CD einen Monat lang jeden Tag einmal hört (was schon eine sehr euphorische Annahme ist, aber bleiben wir mal dabei). Der CD-Käufer hat einmal gezahlt, der Streaming-Hörer zahlt pro Play, nämlich im Durchschnitt ca. 0,006 Euro. Nehmen wir weiter an, die CD hat 10 Tracks, aber da wir von Streaming reden, werden dort hauptsächlich nur die “Hits” gehört, also bestenfalls im Durchschnitt 5 Tracks.

Wir nehmen weiter an, dass der Künstler ALLES bekommt und lassen die Produktionskosten außen vor, da das Band sowohl für Streaming als auch für CDs produziert werden muss, und die Presskosten im Verhältnis zur Gesamtproduktion zu vernachlässigen sind.

Das bedeutet:

30 Tage x 1000 Hörer x 5 Tracks ergeben 150.000 Streams (was SEHR viel wäre für eine Nachwuchsband), dann wären das 900,- Euro. Für einen Monat.

Wir glauben, dass alle Leute ihre CD im ersten Monat der Veröffentlichung kaufen (was relativ nah an der Realität ist), und behaupten, die CD kostet 15,- Euro. Dann wären das 1000 Hörer * 15,- = 15.000,- Euro.

Natürlich hören die Streaming-Hörer auch im nächsten Monat noch weiter, aber da ständig neue Musik kommt nehmen wir weiter an, dass sich die Anzahl der Streams jeden Monat halbiert (was auch recht realistisch ist). Das heißt, es kommen für den 2. Monat nochmal 450,- Euro dazu, dann nochmal 225, dann ca. 115, 67, 33, 16, 8, 4, 2, 1, 0. Das wäre alles zusammengerechnet knapp 1.900,- Euro Einnahmen für das ganze Album. Ein Siebtel der “normalen” Einnahmen. In diesem Szenario gehen wir auch davon aus, dass sich nach dem 1. Monat kein Mensch mehr eine CD kauft. Wie man sieht habe ich mir hier alle Mühe gegeben, die Einnahmen zugunsten des Streamings zu drehen, und trotzdem ist die Bilanz verheerend.

Der Unterschied zwischen 1.900,- Euro und 15.000,- Euro mag hier noch gering erscheinen, aber geht man spaßeshalber mit derselben Rechnung von 2000 Hörern aus, dann stehen knapp 4.000,- Euro Streaming-Einnahmen gegen 30.000,- Einnahmen durch CDs.

Aber bleiben wir bei der Nachwuchsband mit 1000 Hörern. Mit 15.000,- Euro Einnahmen kann man eine Produktion refinanzieren, mit 1.900,- Euro nicht, zumal die ja auch über einen Zeitraum von einem halben Jahr zusammengekrochen kommen. Man darf diese Vergütung also zurecht als “kläglich” bezeichnen, vor allem weil wir hier ja NUR von der Refinanzierung sprechen. Das Jahr Arbeit, das in so einem Album steckt, ist dabei komplett unvergütet, und ein Gewinn in weiter, weiter Ferne.

Und es sollte nicht vergessen werden – diese Rechnung geht ja einfachheithalber davon aus, dass der Künstler ALLES bekommt. Tut er aber nicht. Bei einem regulären Plattenvertrag bekommt er von all dem 25%, muss aber heutzutage in der Regel trotzdem seine Produktion selber bezahlen. Das heißt, von den 15.000,- Euro würden knapp 4000,- Euro beim Künstler bleiben, und von den 2.900,- die er durch Streaming einnehmen würde gerade mal gut 700,- Euro.

Für ein ganzes Album. Bei ca. 10.000,- Kosten für die Bandproduktion.

Konter 2: Es wird dafür jetzt viel mehr Vinyl gekauft

Gerne wird propagiert, dass durch den Niedergang der CD jetzt massenhaft Vinyl verkauft wird, und das die Verluste durch Streaming minimiert.

Antwort:

Ja, es gibt einen Vinyl-Boom, aber die Anzahl der verkauften Vinyls bewegt sich ca. um den Faktor 20 unter den einstigen CD Verkäufen. In unserem Beispiel würde das bedeuten, dass wir zusätzlich zu den Streaming-Einnahmen noch 50 Vinyls für sagen wir 20,- Euro das Stück verkaufen konnten. Dann kommen noch mal 1000,- Euro on Top an Einnahmen für den Künstler. Allerdings hätte er die auch gehabt, wenn er weiter CDs verkauft hätte, denn auch dort wurden schon immer Platten gekauft. Fairerweise muss man die 1000,- Euro dann auch als Einnahme bei dem Modell “CD-Verkauf” verbuchen. Aber auch ohne das wären wir immer noch weit, weit entfernt von kostendeckendem Produzieren.

Konter 3: Limitierte Boxen und Merch-Artikel können die Lücke füllen

Als nächstes möchte ich mich der Annahme widmen, limitierte Boxen und Merch-Artikel könnten die Lücke füllen, die das Streaming reißt.

Antwort:

Natürlich können durch liebevoll gestaltete Boxen und lustige Rucksäcke und T-Shirts Einnahmen generiert werden. Ob die Einahmen dadurch flächendeckenden CD-Verkauf nahekommen möchte ich sehr, sehr bezweifeln, aber zu allererst sollte das gar nicht nötig sein müssen, denn es GIBT ja bereits ein Produkt, das der Künstler produziert hat, nämlich seine Musik. Ich bin sicher, mit warmen Brezeln und Getränken könnte man auch noch eine Mark machen, aber darum geht es hier ja überhaupt nicht.

Konter 4: Wenn unbekannte Bands keine Bühnen mehr zum Auftreten finden, können sie doch Wohnzimmerkonzerte machen

Durch die fehlenden Einnahmen ist es sehr eng geworden auf den kleinen Bühnen im Land. Häufig kommt der Einwurf, dass man ja jederzeit Wohnzimmerkonzerte machen kann, wenn man keine Bühne zum auftreten findet.

Antwort:

Ja, das kann man. Allerdings passen in ein Wohnzimmer selten mehr als 30 Menschen, und GEMA Einnahmen fallen dort auch weg. Mit einer Band sollte man dort auch nicht aufkreuzen, und wer eine 20-tägige Tour mit Sofakonzerten buchen und bestreiten will, dem sei der Weg freigestellt das zu tun. Das kann bestimmt einmal lustig sein, aber das als ernsthafte Alternative zu Auftritten auf regulären Bühnen vorzuschlagen ist völlig weltfremd.

Konter 5: Ich bin naiv

Mein Lieblings-Totschlag-Argument (eins das sonst meist Frauen trifft) wird auch hier gern angewandt: Ich sei naiv in meiner Vorstellung, ich könnte irgend etwas verändern. Die Welt ist wie sie ist, und entweder man spielt mit oder man lässt es bleiben (und man möge bei der Gelegenheit auch bitte aufhören “zu jammern”).

Antwort:

Abgesehen davon, dass das Erarbeiten eines alternativen Bezahlmodells das komplette Gegenteil von “Jammern” ist, halte ich meinerseits die Idee einer statischen Realität die halt “so ist wie sie ist” für naiv. Die Welt ist ja so geworden wie sie ist, und sie wird so werden wie sie morgen sein wird durch die Leute, die etwas machen. Und alles, wirklich alles beginnt damit, dass man ein Bewusstsein schafft dafür, in welcher Realität man gerade lebt. Das ist der Anfang von allem, und was daraus wird kann ich auch nicht sagen, aber im Zweifelsfall etwas Gutes. Ich kann aber mit Sicherheit sagen was passieren wird, wenn man nichts macht – nämlich nichts.

Es geht um Marktmacht und Verteilungsgerechtigkeit

Der entscheidende Unterschied zu früher ist der, daß der vermutlich in naher Zukunft einzige großflächige Vertriebsweg für Musik die Künstler nicht mehr individuell, sondern im Verhältnis zueinander vergütet. Das wäre wie, wenn es nur noch einen Vertrieb für Backwaren gäbe und jeder Bürger 10,- Euro für all-you-can-eat bezahlt. Auch wenn immer mehr gegessen wird, und es immer mehr Bäcker gibt, verdient jeder einzelne doch immer weniger, weil es immer nur dasselbe Geld unabhängig von der Masse der Produkte (oder der Streams) zu verteilen gibt. Die Großbäcker würden in diesem Bild noch Gewinne machen, aber die ganzen kleinen Backstuben könnten dagegen nicht mehr mithalten.

Es geht also nicht um Erfolg. Es geht nicht darum, dass wenn man sich nur genug anstrengt, auch ein größeres Stück vom Kuchen bekommen kann. Sondern darum, dass das System so angelegt ist, dass die Kleinen scheitern müssen. Und es wird immer Kleine geben.

Und zu guter Letzt – ich schreibe all dies, weil es mich grundsätzlich empört, und nicht weil ich jetzt unbedingt noch partizipieren will oder werde. Ich habe schon sechs Alben veröffentlicht, ich weiß nicht ob es ein siebtes geben wird.

Aber ich finde den Gedanken unerträglich, alle die nach uns kommen mit einem Achselzucken ins Maul der Industrie spazieren zu lassen ohne versucht zu haben, ihnen die Möglichkeiten zu erhalten die wir hatten. Danke.

 

 

 

 

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