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von Wolfgang Müller

Offener Brief an Frank Briegmann (Universal)

Oh Frank Briegmann! Normalerweise würde ich einen offenen Brief mit “Lieber” oder mit “Sehr geehrter” beginnen, aber das erscheint mir angesichts Ihrer offenkundig gottgleichen Selbstwahrnehmung als unangebracht. Daher nun also “Oh”. “Oh” war auch das was ich dachte, als mir die Überschrift ihres FAZ-Interviews in die Augen sprang. Er lautete: “Woher kommt der Anspruch, dass ich als Hobby-Musiker Geld erhalte?”. Wow. Was für eine Punch-Line. Ohne auch nur eine weitere Zeile des Interviews gelesen haben zu müssen, gleich ein Wirkungstreffer auf den Selbstwert von Millionen begeisterter “Hobby”-Musiker. Das muss man auch erstmal hinkriegen. Glückwunsch dazu. Es scheint, dass Sie und Christian Lindner dasselbe Rhetorik-Seminar besucht haben. Titel: “Wie mache ich mich mit minimaler Zeichenzahl maximal unsympathisch”. Oder? Nicht? Egal. Hat auf jeden Fall funktioniert.

Dann mein zweiter Gedanke: “Das kann er gar nicht so gemeint haben. Undenkbar”. Als verschwenderischer Hobby-Musiker leiste ich mir glücklicherweise ein FAZ Plus Abo, um immer lesen zu können, was der Feind denkt, und schwups bin ich eingetaucht in die Gedankenwelt eines “führenden Managers des weltgrößten Musikkonzerns” (Universal). Ich muss gestehen, danach musste ich duschen. Das war schon ein bisschen unangenehm. Denn, es stellte sich heraus, dass Sie es genau so gemeint hatten. Der Verve Ihrer Ausführungen changierte irgendwo zwischen sensationell und ekelerregend. “Eier haben” mal auf ein ganz anderes Niveau gehoben. Bzw. gesenkt. Auf null. Sie schrieben:

“Am Ende geht es um Artists, die mit Musik ihren Lebensunterhalt verdienen wollen. Es ist völlig okay, wenn Leute sagen, ich mache als Hobby Musik und lade sie hoch. Aber ich frage mich in der Diskussion schon, woher der Anspruch kommt, dass ich als Hobby-Musiker Geld erhalte? Wir wollen doch diejenigen unterstützen, die professionell Musik machen.”

Als passionierter “Hobby-Musiker” möchte ich Ihnen an der Stelle daher gerne einmal erklären, woher dieser Anspruch kommt. Eigentlich sollte er ja selbsterklärend sein, aber ich kann verstehen, dass jemand im Büro im obersten Stock eines Milliarden-Unternehmens nicht mehr mitbekommt, was auf der Straße los ist. Lassen Sie es mich erklären.

Es gibt keine “Hobby-Musiker”. Nur Musiker. Die machen Musik. Dafür wollen sie Geld. Je mehr sie gehört werden, desto mehr, je weniger, desto weniger. Aber niemals nichts. Eigentlich nicht so schwer zu verstehen, oder? Außer natürlich, man hat sich einmal ausgerechnet, wie unfassbar viel Geld mehr man haben könnte, wenn man diese Pennies und Groschen von den Millionen kleinen Artists einfach klauen würde, und unter den schon erfolgreichen zusätzlich verteilen würde. Da kommt einiges zusammen. Kleinvieh macht auch Mist, kennen Sie, schon mal gehört? Vermutlich schon.

Aber wie? Wie stellt man das an? Ich nehme an, Sie haben Mark Zuckerberg gelauscht, der auf die Frage, wie denn META die ganzen User entlohnen würde, mit deren Content seine KI trainiert wird, sinngemäß antwortete, dass User den Wert ihrer Arbeit überschätzen würden. Oder vielleicht ist Ihnen auch Elon Musk zu Ohren gekommen, der kürzlich in einem Interview sagte: “Jeder ist ein Sklave. Jeder!” Da hat vielleicht was geklingelt bei Ihnen? Kommt mir so vor.

Jedenfalls scheint der “Spin” Ihrer Zunft zu sein, einfach der Arbeit anderer Menschen ihren Wert komplett abzusprechen, um daraus das Recht abzuleiten, sich daran bedienen zu können. Das geht natürlich am besten, indem man den Menschen selber ihren Wert abspricht. Ihre Legitimation. Daher das Wort “Hobby”. Denn hätten Sie einfach “Kleinere Musiker” gesagt, hätte ja jeder gleich sehen können, worauf das Ganze abzielt – eine schamlose Umverteilung von unten nach oben. Oder wie ich es nennen würde – Diebstahl. Aber ganz so groß waren die Eier dann doch nicht. Zum aktuellen Verteilungsmodell der Streaming-Dienste fiel Ihnen noch folgender Geistesblitz ein:

“Heute geht im Pro-Rata-Modell, vereinfacht ausgedrückt, das Geld aller Abonnenten in einen Pool und wird nach dem Anteil der Streams auf die Songs verteilt. Im nutzerzentrierten Modell würden Abo-Gebühren nur auf die von einem Abonnenten gehörten Songs verteilt. Wir halten Letzteres nicht für den richtigen Weg. Es würde neue Gewinner und Verlierer produzieren.”

Ja, oh mein Gott. Man stelle sich nur vor, es würden mal die Kleinen die Gewinner sein. Das muss man natürlich verhindern. Damit alles so bleibt wie es ist. Die Großkonzerne bekommen das ganze Geld und die Kleinen, nun ja, *hust* nichts. Da fällt mir doch glatt noch der Song von den Ärzten ein, mit dieser unvergleichlichen Zeile “Lass mich dein Sklave sein”. Der gefällt Ihnen sicher auch. War ja erfolgreich. Naja. Ich würde es bevorzugen, den freien Fall in den neuen Finanzfeudalismus noch ein bisschen abzubremsen, und den Menschen für die Inhalte, die sie produzieren, entsprechende Vergütungsmodelle zur Verfügung zu stellen. Ansonsten befinden wir uns tatsächlich auf direktem Weg in die neue, digitale Leibeigenschaft. Und damit ist das ja noch nicht zu Ende gedacht. Fragen wir doch weiter: Woher kommt der Anspruch auf Lohn? Auf Krankenversicherung? Auf Freiheit, Würde, Selbstbestimmung? Das muss alles wieder auf den Tisch und neu verhandelt werden.

Denn das, lieber (jetzt doch noch) Frank Briegmann, ist die Quintessenz Ihrer Haltung: Wenn Monopolisten anfangen darüber zu bestimmen, was einen Wert hat und was nicht, dann, Surprise, bleibt am Ende nichts übrig. Für niemanden. Möglich, dass das für Sie eine verlockende Vorstellung ist. Für den Rest der Welt eher nicht.

Zu guter Letzt noch meine ganz persönliche Verachtung für Ihr Verständnis von Kultur. Wer wirklich denkt, nur was sich gut verkauft, hat einen Wert, ist finanziell vermutlich erfolgreich, aber im Geiste arm wie eine Kirchenmaus. Daher mein aufrichtiges Beileid. Denn anders als Geld kann man Haltung und Charakter bedauerlicherweise nicht umverteilen.

Mit unfreundlichen Grüßen

Wolfgang Müller

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