Startseite Text Wovon wir reden, wenn wir lesen, dass es kleinen Künstlern “schlecht” geht. Ein Thread.

Wovon wir reden, wenn wir lesen, dass es kleinen Künstlern “schlecht” geht. Ein Thread.

von Wolfgang Müller

Für 40.000 Streams pro Monat bei Spotify bekommt das Label ca. 200,- Euro ausgezahlt. Der Künstler bekommt davon in der Regel 40,- Euro. Kleinere Acts haben aber eher 10.000 Streams im Monat. Das sind 50,- fürs Label oder 10,- für den Künstler. Eine Albumproduktion kostet, wenn man sparsam wirtschaftet, ca. 10.000 Euro (Recording, Mischen, Mastern, Studiomiete, Gastmusiker). Promo schlägt noch mal mit mindestens 3000,- Euro zu Buche. Nochmal 2000,- Euro für Flyer, Plakate, Promo-Reisekosten.

Wenn früher 2000 Leute eine CD gekauft haben, waren die Unkosten halbwegs drin (ca. 8,- Euro/Stück dem Label). Ich schätze den Faktor Streamer zu CD Käufer auf ca. x10. Das heißt 20.000 monatliche Hörer = 2000 frühere CD Käufer. 20.000 Hörer machen ca. 40.000 Streams aus.  Das bedeutet, es dauert bei fantasievoll angenommenen kontinuierlichen Hörern ca 6 Jahre bis sich das Album nur durch Streaming refinanziert hätte. Da hat aber noch niemand gegessen, gewohnt, oder Steuern gezahlt. Man kann die o.g. Zahlen übrigens noch so biegen wie man will, die Bilanz ist immer verheerend. Ohne Crowdfunding, öffentliche Förderung oder sonstige Querfinanzierung würde es keine kleinen Acts mehr geben. Live spielen und Merch bringt etwas Geld, aber wir reden hier auch von 200-300 Euro Gewinn am Abend bei kleinen Bands.

Ich schreibe das, um ein bisschen Bewusstsein dafür zu schaffen, WIE sehr der Streaming Markt kleine Bands und Labels de facto enteignet hat. Es geistert nämlich immer noch die Vorstellung herum, es wäre mittlerweile irgendwie ok. Ist es nicht.  Vor ein paar Jahren haben die Major Labels beschlossen, dass alle Musik für einen fixen Preis zugänglich sein soll. Das bedeutet aber, dass seitdem eine Umverteilung von unten nach oben stattfindet, und zwar wie folgt: 

Zu CD Zeiten war es egal, ob Madonna eine oder eine Million CDs verkauft hat, ein kleiner Act hat trotzdem dasselbe Geld für seine CD bekommen. Jetzt wird aber ein mehr oder weniger fixer Betrag Geld IM VERHÄLTNIS verteilt. Und das bedeutet, dass wenn ein Künstler mehr bekommt, weil er öfter gestreamt wird, automatisch alle anderen schlechter dastehen. Gäbe es nur zwei Künstler, mich und Madonna, und einen Hörer der 10 Euro zahlt, dann würde Madonna und ich jeweils 5 Euro bekommen, wenn von uns beiden je ein Song gestreamt wird. 

Wird Madonna aber 9 Mal gestreamt, bekomme ich plötzlich nur noch 1,- Euro, obwohl meine absolute Streamzahl unverändert geblieben ist. Durch die Verhältnisverteilung saugen die Großen den Kleinen die Marge weg (ein bisschen vereinfacht gesprochen). Für die Majors ist das attraktiv, weil sie nun mal die big Player haben und monatlich einem Großteil des Gesamtbudgets zugeschlagen bekommen. Das lohnt sich. Aber für alle anderen bleiben nur die Krümel. Und klar, für den User ist es auch attraktiv, die ganze Musik mehr oder weniger kostenlos hören zu können. 

Aber wenn ihr euch mal gefragt habt, wie das eigentlich sein kann, dann ist die Antwort, dass de facto Millionen kleine Acts faktisch enteignet wurden, und durch das Monopol der großen Streaming Dienste gezwungen sind, ihre Musik völlig unter Wert anzubieten, wenn sie überhaupt noch gehört werden wollen. Ich persönlich kann Alben nur noch finanzieren, weil Fans beim Crowdfunding immer noch brav CDs kaufen (ich glaube aber eben nur noch aus Nettigkeit), und es solche tollen Förderungen gibt wie die Initiative Musik oder die Hamburger Labelförderung.

Und ich muss zum Glück nicht von meiner Musik leben. Aber meine Bitte: Supported eure Lieblingskünstler wo ihr könnt. Seit durch Corona das Live Spielen eingebrochen ist (bei kleinen und mittleren Acts sind ca. 25% des Publikums übrig geblieben), pfeift die Branche auf dem letzten Loch, und es ist sprichwörtlich nichts übrig geblieben. Und wenn jetzt durch die Inflation und die Benzinpreise auch Touren unmöglich werden, stirbt die Kultur, man muss es so hart sagen. Dann gibt es nur noch große Bühnen und große Acts, und der Rest ist Schweigen. 

Mittlerweile sagen auch etablierte Acts reihenweise Konzerte ab, weil es nicht mehr finanzierbar ist. Es ist also keine Frage von „Erfolg“, sondern der gesamte Klein-Kulturbetrieb steht vor dem Ruin. Wenn also jemand dachte „Die übertreiben doch“: Tun sie nicht. Es geht mir hierbei nicht darum zu „Jammern“, sondern anhand nüchterner Zahlen einmal aufzuzeigen, wovon wir sprechen wenn in der Zeitung steht, dass es „der Branche schlecht geht“. Wir reden nicht davon, dass man jetzt nur noch einmal im Jahr in den Urlaub fahren kann, oder „den Gürtel etwas enger schnallen muss“, sondern davon, dass wirklich und buchstäblich nichts übrig bleibt, und tatsächlich ist das größte Problem nicht Corona oder die Inflation, sondern die Streaming Vergütung. Wäre die ok, könnte man auch solche Durststrecken irgendwie durchstehen. 

Aber wenn ein Künstler, wie in dem Beispiel, für 40.000 Streams gerade mal ein Mittagessen bezahlen kann, in welchem Parallel Universum soll das denn im mittleren Segment irgendwie ein tragfähiges Geschäftsmodell werden. Viele denken immer noch, „ja dann musst du halt erfolgreicher werden“, aber das ist ja nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass das System so angelegt ist, dass die Kleinen finanziell scheitern MÜSSEN, und das war früher nicht so, weil die Vergütung individuell und nicht im Verhältnis zu riesigen Acts gemacht wurde.

Streaming bedeutet, dass die Formel Eins und das Seifenkistenrennen zusammen gelegt wurden, und nur die ersten 3 ein Preisgeld bekommen. Möge der bessere gewinnen. Danke fürs lesen. 🙏

#streamingMachtArm

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5 Kommentare

Emanuel Kessler 27. Oktober 2022 - 18:32

Vielen Dank für die sachliche Erklärung und Einordnung.
Hat vieles, was ich vermutet habe, bestätigt und nun kann ich es sachlich(er) erklären.

Antworten
Tanja Preckel 31. Oktober 2022 - 15:39

Hallo Herr Müller,

gibt es denn andere Streamingdienste, außer Spotify, die die gehörte Musik für die Musiker fairer abrechnen? Oder ist die einzige hilfreiche alternative, CDs zu kaufen?

Mit freundlichen Grüßen
Tanja Preckel

Antworten
Barbara 19. November 2022 - 7:08

Krass! Gibt es da keinen Aufschrei seitens der Seifenkistler? Das ist ja schreiend ungerecht. Gibt es keine Gegenrevolte? Es müssten doch genug Leute sein, die such gemeinsam ergeben könnten.

Antworten
Lina 1. April 2023 - 13:02

Danke für diesen Beitrag. Wahnsinn wie wenig das im öffentlichen Bewusstsein ist. Ich meine, ich höre noch viel CDs und Vinyl – als junger Mensch – (ich kaufe Deine CDs nicht nur aus Nettigkeiten, ich höre das wirklich so…), aber gerade in meiner Altersgruppe bin ich damit eben ziemlich alleine.
Traurig. Und nicht nur das, auch existentsvernichtend, wie Du das so treffend dargestellt hast.
Ein Armutszeugnis der Aufklärung dass das so wenig Menschen klar ist (und da nehme ich mich nicht aus, ich habe das bis vor zehn Minuten auch nicht gewusst)
Das ist doch einfach ungerecht…

Antworten
Lina 1. April 2023 - 13:01

Danke für diesen Beitrag. Wahnsinn wie wenig das im öffentlichen Bewusstsein ist. Ich meine, ich höre noch viel CDs und Vinyl – als junger Mensch – (ich kaufe Deine CDs nicht nur aus Nettigkeiten, ich höre das wirklich so…), aber gerade in meiner Altersgruppe bin ich damit eben ziemlich alleine.
Traurig. Und nicht nur das, auch existentsvernichtend, wie Du das so treffend dargestellt hast.
Ein Armutszeugnis der Aufklärung dass das so wenig Menschen klar ist (und da nehme ich mich nicht aus, ich habe das bis vor zehn Minuten auch nicht gewusst)
Das ist doch einfach ungerecht…

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